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09 Jan. 2022

Man sagt, die Werke Galens von Pergamon (129–200/210) stellten nahezu ein Achtel der gesamten überlieferten griechischen Literatur von Homer bis zum Ende des 2. Jahrhunderts unserer Zeitrechnung dar. Und dies, obwohl zahlreiche seiner Traktate verloren gegangen sind und andere nur in Form von Übersetzungen ins Lateinische, Arabische und selten auch ins Hebräische erhalten sind. Dank seiner gründlichen Kenntnis der klassischen Literatur und Philosophie und der sich daraus ergebenden sophistischen Gewandtheit konnte er sich in der Naturphilosophie auszeichnen. Sein ganzes Leben lang suchte er die medizinische Wissenschaft zu Kunstrang zu erheben, ohne jedoch die praktischen Fertigkeiten zu vernachlässigen, die er in Smyrna, Korinth, Alexandria und Pergamon vervollkommnete, wo er als Arzt der Gladiatoren tätig war1. Diese Suche nach einer edlen Verbindung zwischen Theorie und Praxis findet ihren vollendeten Ausdruck in der Behandlung des Weines, dem zahlreiche Stellen seiner Werke gewidmet sind. Als berühmter Abkömmling der hippokratischen Tradition hat er deren Corpus eingehend kommentiert, insbesondere Über Diät bei akuten Krankheiten2. In dieser Überarbeitung verdichtet und erweitert er die strenge Klassifikation seines Vorgängers und nennt konkrete Weinsorten zur Veranschaulichung der wesentlichen hippokratischen Kriterien: Farbe, Geschmack, Substanz, Duft und gesundheitsförderliche Eigenschaften. In einer Abhandlung über Gegenmittel unterscheidet Galen verschiedene Arten von Weinen: dichte, starke, schwache (oder wässrige), herbe, saure Weine, was ihn wiederum zu deren jeweiliger Lagerfähigkeit führt: mäßig für die „leichteren Weißweine“, beachtlich für die „starken, bitteren und vollen Weißweine“. Zwei Weine setzen sich deutlich von allen anderen ab: der Sorrentiner und der Falerner Wein.

„Muss man über Wein aus Surrentum überhaupt Worte verlieren? Jedermann weiß, dass er sich gut zwanzig Jahre ungealtert hält. Er erreicht seinen Höhepunkt in einem solchen Alter, bleibt lange Zeit gut trinkbar, neigt nicht dazu, bittere Noten anzunehmen, und ist gleichwertig mit einem Falerner.“ Galen, Über Gegenmittel I. 3 3
In zahlreichen seiner Schriften betont Galen die Bedeutung des „Terroirs“, des spezifischen Anbaugebiets, hinsichtlich der Lagerfähigkeit eines Weines. Auch wenn er nicht der erste Arzt war, der die therapeutischen Anwendungsmöglichkeiten des Weines pries, so setzte er sich jedoch durch die äußerst akkurate Beschreibung der spezifischen Eigenschaften einer Vielzahl von Weinen ab. Eine solche Strebsamkeit ließ ihn zu einem der ersten aufgeklärten Weinliebhaber in der Geschichte des Denkens werden4. So wie die meisten von uns, legte er einen gewissen geschmacklichen Chauvinismus an den Tag, den er jedoch durch unersättliche Neugier überwinden konnte. Abgesehen von den Weinen aus Kleinasien erkennt er den Wert der italienischen Erzeugnisse an und äußert mehrmals eine besondere Schwäche für den berühmten Falerner Wein. Galen spricht von einem Wein mit beeindruckendem Bouquet, das sowohl die Objektivität eines Weinkenners als auch das subjektive Wohlgefallen eines Liebhabers zu stimulieren weiß. Und auch wenn, wie er bemerkt, Worte nicht ausreichen, um die sinnlichen Empfindungen zu beschreiben, gelingt es dem Wein doch, Verstand und Gefühle zueinander zu führen. Der Beweis: Wenn man einen Wein zum ersten Mal kostet, den man eigentlich nur aus einer einfachen Beschreibung kennt, kann man ihn durchaus erkennen. Dieselbe Beschreibung ist sogar in der Lage, die Weinprobe zu einem ganz besonderen und prägenden Erlebnis werden zu lassen5. Galen hebt in der Kategorie der Prestigeweine aus dem Falernergebiet zwei Sorten auf Grund ihres runden und lieblichen Charakters hervor und betont diesen insbesondere für den „Faustinum“ genannten Wein6. Diese Süße bildet das Gleichgewicht zwischen einer adstringierenden und einer bitteren Note, den beiden anderen Geschmacksrichtungen, nach denen Galen Wein einstuft. Der Geschmack jedoch offenbart die Konsistenz und die gesundheitsförderlichen Eigenschaften eines Weines. So erweist sich der dichte und liebliche Faustinum-Wein als ideale Rezepturzutat bei der Herstellung von Gegenmitteln, insbesondere von Theriak, dem Antidot schlechthin7. Galens kleines Handbuch Das Buch von den Weinen verdient es, eigens besprochen zu werden: Das äußerst kompakte Werk steht in der klassischen hippokratischen Tradition und wurde später immer wieder übernommen, als eine Art Leitfaden der medizinischen Literatur über Wein8. Galen untersucht vorrangig die Substanz verschiedener Arten von Wein, wobei er mit dem klarsten beginnt, den „man als wässrig bezeichnet“, auf Grund der Ähnlichkeit mit Wasser in Farbe und Konsistenz, aber auch, so erklärt er nachgehend, wegen des wenig adstringierenden Charakters. Der Geschmack ist etwas fade und Galen rät davon ab, ihn mit einer größeren Menge Wasser zu verdünnen, damit der spärlich vorhandene Weincharakter nicht ganz verloren geht9. Seine harntreibende Wirkung ist auf die schnelle Aufnahme in den Körper zurückzuführen. Im Unterschied zu Wasser ist dieser Wein dennoch nicht von „kalter Natur“, selbst wenn sich sein Temperament im Vergleich zu anderen Weinen eher gemäßigt zeigt. Dieser klare Wein stärkt die Lungen und verflüssigt die Körpersäfte (und nicht nur das Blut), sein ruhiges Temperament eignet sich auch für Fiebererkrankte – im Gegensatz zu anderen Weinen und unreinem Wasser – und für junge Menschen sowie cholerisch veranlagte Personen, bei denen das warme und trockene Temperament vorherrscht. Dieser Wein verursacht keine Kopfschmerzen und schützt vor plötzlich auftretenden Blähungen10. Galen geht dann zu einer gegensätzlichen Beschreibung süßer und reicher Weine über. Diese Gegensätzlichkeit ermöglicht eine Suche nach der vollständigen Abstimmung zwischen der menschlichen Natur und der Substanz des Weines, die man dann bei seinen Nachfolgern wiederfindet. Für die vormodernen Gelehrten ging die Erforschung der Harmonie zwischen Wein und Weintrinker weit über das hinaus, was uns heutzutage so sehr beschäftigt, d.h. der Einklang von Gerichten mit den passenden Weinen. Diese Nähe zwischen Wein und menschlichem Körper im metamorphischen Sinn, das war es, was Galen inspirierte. So konnte er die physiologischen Mechanismen erklären, wie zum Beispiel in Form einer Parallele zwischen Blutbildung und Weinherstellung11. Galen verwendete diesen Vergleich, um die Bildung der Säfte und Temperamente sowie auch die Essigeigenschaften der schwarzen Galle oder von Essig zu erklären, welche eine ätzende Wirkung auf den Magen ausübten (Über die natürlichen Fähigkeiten, II.9). Der Wein folge somit den Körperbewegungen, dem guten Funktionieren des Körpers, optimaler Blutbildung, und finde einen Gegensatz in der potenziellen Verschlechterung der Körpersäfte durch Falschsubstanzen. Für Galen sind der Geschmack und die Blume eines Weines untrennbar verbunden mit seiner Substanz, die den Charakter und die Komplexität eines Weines ausmacht. Die Weinkenntnisse und die Suche nach unterschiedlichen Möglichkeiten, darüber zu sprechen, sind weit davon entfernt, den sinnlichen Charakter der Erfahrung einer Weinprobe abzuschwächen, sondern eröffnen im Gegenteil den Zugang zu subtileren Dimensionen. Abgesehen vom rein physischen Phänomen einer Weinprobe, erquickt diese eine Seele, die erzwungenermaßen den Körpertemperamenten unterliegt12. So erlaubt der Wein es Galen, sich sowohl als Diener der Heilkunst als auch als Sprachrohr der Moralphilosophie auszudrücken. ------------------------------------------ 1 Für eine Darstellung von Galens „Heilkunst“ siehe die Einführung von Véronique Boudon zu ihrer Ausgabe Galien, Band 2, Paris, Les Belles Lettres, 2000, S. 168-170; 224-252. 2 Siehe Wesley D. Smith, The Hippocratic Tradition, Ithaca, N.Y., Cornell University Press, 1979, insbesondere Kapitel 2, „Galen’s Hippocratism“, S. 61-176. 3 De antidotis. Übersetzung ins Deutsche nach Kühn XIV, 14-19. 4 Siehe die Einführung zu den Werken Galens von Véronique Boudon, s.o., Band. 2, Paris, Les Belles Lettres, 2000, S. 168-170; 224-252. 5 Galen, De dignoscendis pulsibus (Über die Pulsdiagnose) 11, siehe Kühn VIII, 774-5. 6 Galen, Methodus medendi (Die therapeutische Methode) XII 4, siehe Kühn X, 832. 7 Galen, De antidotis (Über Gegenmittel) I 3, siehe Kühn XIV, 20. 8 Dieser Text findet sich in zahlreichen Werken aus dem Mittelalter, u.a. mss. Paris, BnF Lat. 6865, fol. 53vb-54va; N.A.L. 343, fol. 69r-70r. (fol. 74-107 für De alimentis), und sein Inhalt weicht in der hier verwendeten Ausgabe nur geringfügig ab (Ausgabe Venedig 1490, in: Galen, Opera, Band 1, fol. 135vb-136rb). 9 Galen, Le livre des vins, Ausgabe Venedig 1490, Band 1, fol. 136rb. 10 Galen, De facultatibus naturalibus (Über die natürlichen Fähigkeiten) III.15. 11 Galen, IV.3. Der französische Originalartikel stützt sich auf die Übersetzung von Charles Daremberg in: Œuvres médicales choisies, Band 1, S. 281-282. De l’utilité des parties du corps humain. 12 Galen, Quod animi mores corporis temperamenta sequantur (Dass der Charakter der Seele den Temperamenten des Körpers folgt). Der französische Originalartikel stützt sich auf die Übersetzung von Barras Birchler Morand, 2004, § 1; 3 (Que les facultés de l’âme suivent les tempéraments du corps).

07 Dez. 2021

Für den Weinbausektor neu ist u.a., dass die Bedingungen für die Entalkoholisierung und die teilweise Entalkoholisierung von Wein offiziell festgeschrieben werden. Bei der Festlegung der neuen Rahmenvorgaben hat sich die EU an den Arbeiten der OIV, insbesondere an den Resolutionen OIV-ECO 523-2016, OIV-ECO 433-2012 und OIV-ECO 432-2012, orientiert.In Zukunft kann bei den Weinbauerzeugnissen „Wein“, „Schaumwein“ und „Perlwein mit zugesetzter Kohlensäure“ zur Bezeichnung der Produktkategorie (verpflichtende Angabe) die Angabe „entalkoholisiert“ oder „teilweise entalkoholisiert“ hinzugesetzt werden. Eine vollständige Entalkoholisierung ist auf Erzeugnisse beschränkt, die nicht unter eine Ursprungsbezeichnung oder geografische Angabe fallen. Eine teilweise Entalkoholisierung ist dagegen für alle Weine, Schaumweine und Perlweine mit zugesetzter Kohlensäure zulässig.Für den Alkoholgehalt von „entalkoholisiert“ zu „teilweise entalkoholisiert“ wurde der 2012 von der OIV angesetzte Grenzwert, nämlich 0,5 %, übernommen.In Anlehnung an die OIV-Empfehlungen (OIV-OENO 394A-2012) wurden als Entalkoholisierungsverfahren, die den Äthanolgehalt in diesen Erzeugnissen teilweise oder fast ganz reduzieren, die partielle Vakuumevaporation und/oder Membrantechniken und/oder die Destillation zugelassen.Der Weinbausektor ist innovativ und zeigt sich gegenüber den sich wandelnden Anliegen der Verbraucher aufgeschlossen, ohne auf Unverfälschtheit und Traditionsbewusstsein zu verzichten. Die OIV-Mitgliedstaaten arbeiten derzeit an Rahmenvorgaben für besondere önologische Verfahren, die auf diese neuen Erzeugnisse anwendbar wären.Entrez votre texte

24 Nov. 2021

Das Treffen versammelte Experten aus Wissenschaft, Regierungen, internationalen Organisationen und dem Privatsektor aus verschiedenen Ländern: Dr. Adriaan Oelofse, Leiter für Forschung, Entwicklung und Innovation bei WINETECH, der einen Vortrag über das Konzept der intelligenten Weingüter hielt, Dr. Bernard Chen, Professor für Künstliche Intelligenz an der Universität Arkansas, Dr. Javier Ibáñez, Professor an der Päpstlichen Hochschule Comillas und Blockchain-Experte, Fabián Torres, Chefberater bei SICPA und Experte für Digitale Transformation und Leitung, und schließlich Olivier Oram, Blockchain-Experte und Gründer der digitalen Plattform Chainvine, die zur Senkung der Vertrauenskosten in der weltweiten Weinlieferkette beiträgt. Es handelte sich um ein ganz besonderes Event für die OIV, da es einen Meilenstein im strategischen Fünf-Jahres-Plan markiert. „Seit ihrer Gründung 1924 hat sich die OIV stets dadurch ausgezeichnet, die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse und die innovativsten Instrumente, die die Technik den Menschen zur Verfügung stellt, zu nutzen“, sagte OIV-Generaldirektor Pau Roca bei seiner Eröffnungsansprache für das Symposium. „Es war äußerst interessant zu sehen, wie neue Technologien uns dabei unterstützen können, einige der wichtigsten Probleme des Sektors anzugehen wie Nachhaltigkeit, Klimawandel, Rückverfolgbarkeit, Schutz gegen Betrug oder Resilienz“, folgerte Roca zum Abschluss des Treffens. Als internationale wissenschaftlich-technische Organisation bemüht sich die OIV, allen Beteiligten Anregungen und Leitlinien zu vermitteln und dafür zu sorgen, dass dieser Wandel reibungslos und gleichberechtigt abläuft und dem gesamten Sektor, sei es Industrie, Verbraucher oder Regierungen, gleichermaßen zugute kommt.PPT by Giorgio Delgrosso, Head of Statistics & Chief DigitalTransformation Officer

Hier sehen Sie die vorläufigen Ergebnisse des von der OIV-Beobachtungsstelle für Digitale Transformation erstellten Berichts über digitale Trends im Reben- und Weinsektor.

28 Okt. 2021

Oiv-Generaldirektor Pau Roca erteilte in einer ebkonferenz am sitz der OIV in Paris informationen über die ersten schätzungen für die weltweite weinerzeugun 2021.• In der EU wird mit niedrigen Produktionsmengen gerechnet, vor allem in Italien, Spanien und Frankreich, wo Produktionseinbußen von insgesamt etwa 22 Mio. hl gegenüber 2020 verzeichnet werden, was auf Spätfrost im Frühjahr und ungünstige klimatische Bedingungen zurückzuführen ist.• Die einzigen großen Weinerzeugerländer der EU, die höhere Erntemengen als 2020 verzeichnen, sind Deutschland, Portugal, Rumänien und Ungarn.• Die ersten Ernteprognosen in den USA deuten auf Produktionsmengen hin, die leicht über denen von 2020 liegen.• Ein sehr positives Jahr für die Weinerzeuger der südlichen Hemisphäre, wo relativ günstige klimatische Bedingungen zu Rekordproduktionen in den Ländern Südamerikas, in Südafrika und Australien führten, wobei Neuseeland die einzige Ausnahme bildet.ReplayPressemitteilungPräsentation PPT [EN]Weinerzeugung 2021 - Erste Schätzungen

24 Okt. 2021

Die OIV-Generalversammlung hat die Verlegung des OIV-Sitzes beschlossen, d. h. das Sekretariat zieht von Paris nach Dijon um. Damit haben die 48 Mitgliedstaaten dem Angebot Frankreichs zugestimmt, im Sinne von Langzeitstabilität, Rechts- und Finanzsicherheit einen festen Sitz für die Organisation zu schaffen.Vollständige Pressemitteilung lesen

11 Okt. 2021

To attend this online press conference, journalists are kindly asked to register here.• Date: Thursday 4th November 2021• Time: 3pm CET• Location: OIV App (soon available)• Language : English, French, Spanish

06 Okt. 2021

Hildegard von Bingen (1098-1179)
Azélina Jaboulet-Vercherre Lehrbeauftragte, Ferrandi Paris In einer Zeit, in der wir uns gemeinsam über die drängenden Probleme der Gegenwart Sorgen machen, besinnen sich Menschen auf historische Prinzipien zurück, die uns helfen, die aktuellen Problemen zu bekämpfen. Sowohl die Landwirtschaft als auch die (Para-)Medizin wenden sich einem ganzheitlichen Verständnis der Welt zu und machen bestimmte Persönlichkeiten aus unserer gemeinsamen Vergangenheit wieder aktuell. Die Allegorie der Natur kommt jedem mehr oder weniger bewusst in den Sinn und entführt uns in ein fantastisches Universum aus einer vergangenen Zeit. Denken wir an das Mittelalter, in dem Bernard Silvestre im zwölften Jahrhundert eine Kosmographie verfasst, in der die personifizierte Natur von einer noch mächtigeren Mutter Natur gelenkt wird: Noÿs. Sie ist als Intellekt, Weisheit und göttlicher Vorsehung zu verstehen und zeigt ihrer Tochter Natur den Weg, um die Ordnung ausgehend von einem makrokosmischen Chaos wiederherzustellen. Gemeinsam hätten diese beiden höheren Naturen die Macht, die Harmonie zwischen den Arten wiederherstellen. Hildegard von Bingen, ein „ganzheitlich“ spirituelle Ausrichtung des Wissens Um den Blick für die Vergangenheit weiter zu schärfen, bleiben wir im 12. Jahrhundert, das mit Hildegard von Bingen (1098-1179) die Wiederentdeckung des Naturalismus2 brachte. Als Nonne, Literatin, Ärztin, Visionärin und Musikerin zeigt Hildegard in ihren Schriften eine Sensibilität für den Rhythmus der Natur, die sie zu einer bedeutenden Vorreiterin der heutigen Anhänger der Biodynamik macht. In ihren Werken wird die enge Beziehung zwischen den inneren Vorgängen im Körper und der Natur (Lebenskraft) betont, insbesondere in ihrem wissenschaftlichen Werk Physica, auch Liber subtilitatum oder Liber simplicis medicine (um 1150)3. Es präsentiert in Form einer Enzyklopädie eine Bestandsaufnahme der Schöpfung, in der auch die Kosmologie, die Kosmographie, die Menschen und ihrer Tätigkeiten, wie z. B. das Pflanzen von Reben und die Ernte, Krankheiten und ihre Heilmittel, Platz finden. Obwohl sie es oft leugnete, kannte Hildegard die Klassiker. Ihre Originalität hat viele Dimensionen. Nicht zuletzt bewies sie, dass auch ihr als Frau nicht die Anerkennung oder sogar die Wertschätzung der Großen ihres Jahrhunderts (Bernhard von Clairvaux, Papst Eugen III.) verwehrt blieb. Sie musste sich jedoch gedulden – wie es bei außergewöhnlichen Denkern oft der Fall ist – und wurde erst am 7. Oktober 20124 zur „Kirchenlehrerin“ (Doctor Ecclesiae universalis) ernannt. Aber für uns noch wesentlicher ist ihre spirituelle Ausrichtung des Wissens, die wir als „ganzheitlich“ bezeichnen würden. Das Schöpfungsbild der Hildegard von Bingen Neben ihrer Kenntnis der Erde als eines der vier Elemente des Universums, interessiert sie sich für die verschiedenen Bodenarten und deren Verwendung5. In Cause et Cure (Ursachen und Behandlung der Krankheiten) gibt Hildegard Einblick in den Umfang ihres naturalistischen Denkansatzes, der von der Rolle der Sterne, der Sonne und des Mondes („Mutter aller Jahreszeiten“)6 dominiert wird. Sie verweist insbesondere auf den Einfluss des Mondes auf den Weinanbau (Pflanzung, Ernte, Eigenschaften der Rebe, aber auch Schädigung der Trauben) und verwendet den Begriff des Terroirs (hierarchische Gliederung der Böden je nach Sonneneinstrahlung und Feuchtigkeit, Beschaffenheit der Trauben je nach Anbaugebiet): "Die Bäume, welche im Ostgebiet wachsen und von den Gewässern des Ostens getränkt werden, wachsen gut und bringen guten Ertrag in den verschiedenen Früchten der Obstbäume, die einen guten Geschmack haben …Die Weinberge dort im Osten bringen aber reichen Ertrag und liefern einen sehr guten Wein. […] In den Ländern des Westens …ist der Wein stark, jedoch nicht wohlschmeckend und sehr haltbar, weil die Erde dort Wärme und Kälte besitzt. […] […] Der Wein gedeiht nämlich besser bei Wärme wie bei kalter Witterung.“7 Das Schöpfungsbild der Hildegard von Bingen basiert auf dem Bezugssystem der Genesis: "Bei Erschaffung des Menschen aus Erde wurde eine andere Erde genommen, welche den Menschen darstellt, […] Und die Erde spendete ihre Kraft nach dem Geschlecht, nach der Natur, nach der Lebensweise und dem ganzen Verhalten des Menschen".8 Die Schöpfung uns wohlwollend zugetan ist, wenn wir sie auf vernünftige und sinnvolle Weise nutzen Über die Wechselwirkung zwischen dem göttlichen Prinzip und der Ordnung der (physischen und menschlichen) Natur hinaus lässt sich dieser Spiegeleffekt erkennen, ein echter mittelalterlicher Topos, der sich aus den Überlegungen zum Kosmos ergibt. Die Abhängigkeit der Menschen von übergeordneten Regeln wird uns oft zu unserem Nachteil auferlegt. Diese Mahnung für Demut konfrontiert uns mit der Kraft der Natur, der wir unterworfen sind und die uns nährt, und nicht umgekehrt. Für die visionäre Äbtissin offenbaren die Bewegungen der Sonne eine moralische Lehre: "Mit schlechten Werken setzt (der Mensch) sich über die Gerechtigkeit hinweg, beschwert und verdunkelt Sonne und Mond: und diese lassen dann, dem ihnen gegebenen Beispiele folgend, Stürme, Regengüsse und Dürre auftreten."9 "Wenn im Winter die Sonne niedergeht, zeigt es Gericht und Strafe an mit Eis, Kälte und Hagel. Denn jede Sünde wird nach ihrer Art mit Feuer, Kälte oder anderen Heimsuchungen bestraft".10 Diese wenigen Sätze könnten als Beschwörung aufgefasst werden. Es scheint, dass der Zweck der „Rheinischen Sybille“ darin besteht, uns daran zu erinnern, dass die Schöpfung uns wohlwollend zugetan ist, wenn wir sie auf vernünftige und sinnvolle Weise nutzen. _____________________ Anmerkung des Übersetzers: Die Quellenangaben beziehen sich auf die französische Fassung des Artikels, sofern keine anderen Angaben gemacht werden. 1 Bernard Silvestre, Cosmographie, Paris, Cerf, 1998. 2 Bernard Ribémont, De Natura Rerum. Etudes sur les encyclopédies médiévales, Orléans, Paradigme, 1995, p. 89. 3 Der Titel Physica erscheint mit der Erstausgabe. Für weitere Informationen über die Werke, auf die sich diese Studie stützt, wird auf Laurence Moulinier verwiesen, insbesondere auf « La terre vue par Hildegarde de Bingen » (März 2005), 205-230. 4 Michel Trouvé et Pierre Dumoulin, présentation du texte d’Hildegarde de Bingen, Les mérites de la vie. Principes de psychologie chrétienne, Editions des Béatitudes, 2014, p. 9. 5 Le livre des subtilités des créatures divines (Liber subtilitatum), trad. P. Monat, Grenoble, 1988, t. 1 p. 29-31. 6 Hildegarde de Bingen, Causae et curae, éd. et trad. Pierre Monat, Grenoble, Jérôme Million, p. 29. 7 Hildegard von Bingen: Ursachen und Behandlung der Krankheiten, Vom Wachsen der Bäume, des Getreides und des Weinstocks, 2013 Mathias Lempertz GmbH 8 Hildegard von Bingen: Naturkunde. Das Buch von dem inneren Wesen der verschiedenen Naturen in der Schöpfung, nach den Quellen übersetzt und erläutert von Peter Riethe, Salzburg 1959. 9 Ebenda 10 Hildegard von Bingen, Welt und Mensch, Das Buch „De Operatione Dei“, aus dem Genter Kodex übersetzt und erläutert, Die zehn Visionen vom Wirken Gottes in Welt und Mensch, Otto Müller Verlag Salzburg, PDF erstellt von André Rademacher  
 

05 Okt. 2021

Die OIV startet eine neue internationale Veranstaltung zur digitalen Transformation der Branche, an der Experten aus Wissenschaft, Regierungen, internationalen Organisationen und dem Privatsektor aus verschiedenen Ländern teilnehmen. Während dieser Veranstaltung werden die vorläufigen Ergebnisse des Berichts der OIV-Beobachtungsstelle vorgestellt.Um bei dieses Symposium Teilzunehmen, bitte registrieren Sie sich hierDatum - Mittwoch, den 24. November 2021Uhrzeit - 11 Uhr MEZ Standort - App Veranstaltungen OIV Sprachen - EN - Simultanübersetzung ins Französische und SpanischeVORTRAGENDE:Internationale Digitalisierungsexperten unterschiedlicher Herkunft (Universitäten, nationaler und internationaler öffentlicher Sektor, Privatwirtschaft).Publikum:Die Veranstaltung ist öffentlich und richtet sich an ein breites Publikum.

28 Sep 2021

Angesichts des zunehmenden Interesses des Weinbaus an umweltfreundlichen Produktionsverfahren beleuchtet der Themenbericht 2021 „The world organic vineyard“ (Das Öko-Weinbaugebiet in der Welt) die Entwicklung des Öko-Weinbaus, einer seit Ende des 20. Jahrhunderts steigenden Tendenz. Diese Entwicklung lässt sich zum großen Teil durch gesellschaftliche Fragen, insbesondere im Hinblick auf die Gesundheit der Verbraucher und den Umweltschutz erklären. Dieser Bericht untersucht für den Zeitraum von 2005 bis 2019 die Entwicklung und Verteilung der zertifizierten ökologischen Weinbaugebiete, die Weintrauben, Tafeltrauben und Rosinen produzieren.Die Ökowein-Anbaufläche hat weltweit deutlich zugenommen, und es ist ein starker Trend zu Zertifizierung zu verzeichnen.Die Geschwindigkeit der Umstellung von Weingütern auf ökologische Produktion wurde seit Anfang des 21. Jahrhunderts beträchtlich gesteigert. Im Verlauf des gesamten für diesen Bericht analysierten Zeitraums (2005-2019) wuchs die Anbaufläche der zertifizierten Öko-Weingüter um durchschnittlich 13 % pro Jahr, während die „konventionelle“ Rebfläche im selben Zeitraum um durchschnittlich 0,4 % pro Jahr abnahm. Einer der Gründe für diese intensive Wachstumsrate ist die Tatsache, dass zertifizierter Öko-Weinbau noch relativ neu ist.Im Jahr 2019 wurde in insgesamt 63 Ländern auf der Welt Öko-Weinbau betrieben und die zertifizierte Anbaufläche der Öko-Weingüter auf 454 kha beziffert, was 6,2 % der gesamten weltweiten Rebfläche entspricht.75 % der weltweiten Öko-Weinbaugebiete entfallen auf Spanien, Frankreich und Italien zusammengenommen. Was den Anteil der Öko-Weingüter an der Gesamtrebfläche des Landes angeht, wird die Rangliste von europäischen Ländern angeführt. In Italien werden 15 % der Rebflächen für ökologischen Weinbau genutzt, gefolgt von Frankreich (14 %) und Österreich (14 %). Das einzige außereuropäische Land unter den ersten Zehn ist Mexiko, wo 8 % der Weinanbaufläche ökologisch zertifiziert sind.Hinter diesem Wachstum der weltweiten Öko-Weingüter verbirgt sich allerdings eine deutliche Bewegung sowohl nach oben als auch nach unten, denn die Umstellung eines Weinbergs auf ökologischen Anbau ist häufig komplex und erfordert hohe Anpassungsfähigkeit. Die Witterung, strukturbedingte und/oder organisatorische Probleme können dazu führen, dass Winzer ihre zertifizierte Ökoproduktion aufgeben und die Öko-Weinbaufläche lokal wieder zurückgeht.

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