Empfehlungen der OIV zur Bewertung und Bedeutung der mikrobiellen Diversität im Kontext des nachhaltigen Weinbaus
RESOLUTION OIV-VITI 655-2021
EMPFEHLUNGEN DER OIV ZUR BEWERTUNG UND BEDEUTUNG DER MIKROBIELLEN DIVERSITÄT IM KONTEXT DES NACHHALTIGEN WEINBAUS
DIE GENERALVERSAMMLUNG,
Auf Vorschlag der Kommission I „Weinbau“ und der Sachverständigengruppe „Nachhaltige Entwicklung und Klimawandel“,
GESTÜTZT auf den Strategieplan 2020-2024 der OIV, insbesondere auf seinen Schwerpunkt 1 „Förderung des nachhaltigen Weinbaus“ und die Unterabschnitte: A) Berücksichtigung und Reaktion auf die Herausforderung des Klimawandels, B) Charakterisierung und Bewertung nachhaltiger Produktionsmethoden und -grundsätze und F) Berücksichtigung der Nachhaltigkeit von Weinbauterroirs,
GESTÜTZT auf die Resolution OIV-VITI 01-2002 über die Erhaltung der Biodiversität,
GESTÜTZT auf die Resolution OIV-VITI 01-2003 über die Koordinierung der vorrangigen Themen im Weinbau, in der die entscheidende Bedeutung der genetischen Vielfalt und, ganz allgemein, der Biodiversität aufgezeigt wird,
GESTÜTZT auf die Resolution OIV-CST 518-2016 über die allgemeinen Grundsätze des nachhaltigen Weinbaus, insbesondere auf ihren Grundsatz Nr. 2 „der nachhaltige Weinbau schützt die Umwelt“ mit Schwerpunkt auf den Teil, der sich mit der Erhaltung der Biodiversität befasst,
GESTÜTZT auf die Resolution OIV-VITI 333-2010, in der die Biodiversität als wesentliches Merkmal eines Terroirs anerkannt wird,
GESTÜTZT auf das gemeinsame Gutachten der OIV „Funktionale Biodiversität im Weinbau” von 2018,
IN ANBETRACHT des allgemeinen Interesses an der Entwicklung von Methoden und Messgrößen für die Bodenüberwachung (wie von der FAO in ihrem Dokument von 2019 „A literature review of Monitoring and Evaluation (M&E) frameworks for Climate-Smart Agriculture [1]“ hervorgehoben),
IN ANBETRACHT der allgemeinen Grundsätze des Nagoya-Protokolls, insbesondere von Artikel 8 Buchstabe a „Schaffung von Voraussetzungen zur Förderung der Forschung, die zur Erhaltung und nachhaltigen Nutzung der biologischen Vielfalt beiträgt“,
ERKENNT FOLGENDES:
- Mikroorganismen sind an den meisten biogeochemischen Prozessen im Boden beteiligt und spielen für den Nährstoffkreislauf und die Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit eine wichtige Rolle.
- Mikroorganismen sind potenziell frühe Indikatoren für die Auswirkungen externer Faktoren auf die Gesamtbiodiversität des Weinbergs.
- Pflanzen interagieren mit assoziierten Mikroorganismen, um ein Gesamtlebewesen zu bilden, das als Holobiont bezeichnet wird. Die Mikrobengemeinschaft der Rhizosphäre kann eine große Anzahl funktioneller Merkmale der Pflanze beeinflussen.
- Die Bewirtschaftung der Rebflächen und Pflanzenschutzstrategien verändern das Mikrobiom des Bodens und der Trauben, was sich wiederum auf die Zusammensetzung der Weine auswirkt.
- Einige Mikrobenarten sind für ein breites Spektrum von Schädlingen und Krankheiten verantwortlich, die die Gesundheit der Reben beeinträchtigen, insbesondere diejenigen, die mit einigen Formen des Vitalitätsverlusts der Rebe in Verbindung stehen.
- Die Mikrobiome von Trauben und Reben weisen biogeographische Muster auf, wobei jedoch umfangreiche Untersuchungen und die Bestätigung der Relevanz für bestimmte Regionen und Produktionssysteme erforderlich sind. Des Weiteren können einige Eigenschaften des Weins mit der Zusammensetzung der mit Reben assoziierten regionalen Mikrobengemeinschaft zusammenhängen
- Biologische Diversitätsindizes, die traditionell in der Ökologie verwendet werden, sind Schlüsselindikatoren für die Bestimmung und Überwachung der Zusammensetzung, Struktur und Funktion der Mikrobenvielfalt von Weinbergen.
- Die Resistenz und Widerstandsfähigkeit mikrobieller Ökosysteme im Weinberg (d.h. Boden, Rhizosphäre, Phyllosphäre), die durch die Merkmale der biologischen Vielfalt bestimmt werden, sind messbare Indikatoren für die biologische Nachhaltigkeit eines Weinbergs.
- Kulturunabhängige Techniken, die auf DNA-Sequenzierungstechnologien basieren und auch als „Next-Generation Sequencing“ (NGS) bezeichnet werden, sind empfindliche, neuaufkommende Methoden zur Charakterisierung der mikrobiellen Biodiversität im Weinberg.
EMPFIEHLT:
- den Mitgliedstaaten:
- die Förderung von Strategien zur quantitativen und qualitativen Bewertung der mikrobiellen Abundanz und der mikrobiellen Diversität im Weinberg und ihre Verwendung als Indikator der funktionalen Biodiversität und der biologischen Nachhaltigkeit sowie als messbarer Wert für die Wirkungen und Auswirkungen von Weinbaupraktiken und Managementsystemen
- der wissenschaftlichen Gemeinschaft:
- die Untersuchung der Vielfalt der biogeographischen Muster und die Bestätigung der Relevanz für bestimmte Regionen und Produktionssysteme,
- die Untersuchung der Mikrobenpopulationen in Weinbergen und ihrer Bedeutung für die Gesundheit und Funktion der Böden sowie für die Herstellung und Qualität von Weinbauerzeugnissen,
- die Anwendung harmonisierter Überwachungsmethoden zur Untersuchung der mikrobiellen Biodiversität abhängig von verschiedenen Bodentypen, Bewirtschaftungstechniken und Alter der Weinberge,
- die Untersuchung der Auswirkungen verschiedener Weinbausysteme auf die Zusammensetzung und Funktion des Bodenmikrobioms,
- die Anwendung kulturunabhängiger Methoden (d.h. Next-Generation-Sequenzing (NGS)- Technologien oder Hochdurchsatz-Kulturtechniken, Kulturomik) in mikrobiologischen Untersuchungen auf lokaler, regionaler und globaler Ebene, um die mikrobielle Biodiversität in Weinbergen zu untersuchen und einige relevante Taxa (u.a. Rebenpathogene, biologische Pflanzenschutzmittel) als Isolate in mikrobiellen Kultursammlungen zu erhalten,
- die Förderung technisch-wissenschaftlicher Wechselwirkungen und die Bündelung der Kompetenzen von Mikrobiologen, Ökologen und Physiologen der Rebe, um die Rolle und Bedeutung der mikrobiellen Biodiversität im Weinberg zu stärken,
- insbesondere die Erstellung einer kritischen Bestandsaufnahme mit praktischen Implikationen über die Rolle und Bedeutung des Mikrobioms des Weinbergs im Kontext des globalen Weinbaus, einschließlich der in den 5 nachstehenden Punkten aufgeführten Konzepte und Inhalte:
- Untersuchung der Wechselwirkungen zwischen dem Mikrobiom des Weinbergs und chemischen Nährstoffen und Pflanzenschutzmitteln, die auf Ebene der Phyllosphäre und des Bodens eingesetzt werden,
- eine detaillierte Liste bekannter Mikrobenarten, die bei Rebkrankheiten und Traubenfäule eine Rolle spielen, die sich als biologische Pflanzenschutzmittel oder mit anderen positiven Wirkungen (Beseitigung von Schadstoffen, Fruchtbarkeit, Kohlenstoffkreislauf usw.) durchgesetzt haben, sowie derjenigen, die sich auf die Leistung von Weinbereitungsverfahren auswirken,
- ein Schema der bekannten mikrobiellen Prozesse im Boden mit Schwerpunkt auf der Rolle der Mikroorganismen für den Kreislauf und die Mobilisierung von Nährstoffen/Mineralstoffen,
- unter Berücksichtigung der verfügbaren wissenschaftlichen Informationen über die Mikrobiodiversität in Weinbergen Erstellung einer Liste der Indizes der mikrobiellen Vielfalt und Bewertung der Möglichkeit, globale Zahlen (Mittelwerte, Ober- und Untergrenzen) für diese festzulegen, die als Referenzwerte für künftige lokale Studien über die mikrobielle Vielfalt von Weinbergen verwendet werden sollen,
- eine Bestandsaufnahme der validierten Analysemethoden zur Unterstützung der Anwendung von kulturunabhängigen Methoden bei der Untersuchung des Mikrobioms von Weinbergen.
- Die 5 vorgenannten Punkte alle drei Jahre unter Berücksichtigung der Veröffentlichung neuer wissenschaftlicher Arbeiten über die Bedeutung der mikrobiellen Biodiversität für den Weinbau inhaltlich zu prüfen und zu aktualisieren.
[1] Link zum Dokument: http://www.fao.org/3/ca5759en/ca5759en.pdf