Definition und Empfehlungen der OIV zur Bedeutung des Berg-und Steillagenweinbaus für den Weinbausektor

Status: In Kraft

Definition und Empfehlungen der OIV zur Bedeutung des Berg-und Steillagenweinbaus für den Weinbausektor

RESOLUTION OIV-VITI 716-2024

DEFINITION UND EMPFEHLUNGEN DER OIV ZUR BEDEUTUNG DES BERG- UND STEILLAGENWEINBAUS FÜR DEN WEINBAUSEKTOR

DIE GENERALVERSAMMLUNG,

GESTÜTZT auf die Arbeiten der Kommission I „Weinbau“ und der Sachverständigengruppe „Nachhaltige Entwicklung und Klimawandel“,

GESTÜTZT auf Artikel 2 Absatz 2 iv des Übereinkommens vom 3. April 2001 zur Gründung der Internationalen Organisation für Rebe und Wein und Schwerpunkt 1 des OIV-Strategieplans 2020–2024, der die „Förderung eines ökologisch nachhaltigen Weinbaus“ und die Erhaltung der natürlichen Ressourcen vorsieht,

GESTÜTZT auf die Resolution OIV-VITI 01-2002 über den Erhalt der Vielfalt,

GESTÜTZT auf die Resolution C 4/62-VITI über die Studie zur Anwendung technischer Methoden und wirtschaftlicher Maßnahmen für Rebflächen in Hang- und Steillagen,

GESTÜTZT auf die Resolution VITI 2/99 über historische Weinbaulandschaften in Berg- und/oder Steillagen,

GESTÜTZT auf die Resolution OIV-VITI 424-2010 und die dringende Notwendigkeit, das wertvolle Welterbe, das Rebsorten darstellen, zu schützen,

GESTÜTZT auf die Resolution OIV-VITI 333-2010, die das Konzept des Terroirs festlegt,

GESTÜTZT auf die Resolution OIV-CST 518-2016 über die allgemeinen Grundsätze für den nachhaltigen Weinbau und insbesondere ihren Grundsatz 2 „Der nachhaltige Weinbau schützt die Umwelt“ und die entsprechenden Abschnitte über die Erhaltung der biologischen Vielfalt,

GESTÜTZT auf die Resolution OIV-VITI 641-2020 „Leitfaden für die Anwendung der Grundsätze des nachhaltigen Weinbaus“,

IN ANBETRACHT der Annahme des globalen Rahmens für die biologische Vielfalt (Beschluss CBD/COP/DEC/15/4) durch die Übereinkunft der Vereinten Nationen von Kunming-Montreal (und der Agenda 2030 der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung, die die internationale Gemeinschaft zu einer Reihe ehrgeiziger Ziele („Leben im Einklang mit der Natur“ und „niemanden zurücklassen“) verpflichtet und sofortige und ehrgeizige Maßnahmen zum Schutz des Lebens sowohl unter Wasser als auch an Land erfordert, indem der Druck auf die biologische Vielfalt und die Ökosysteme verringert wird,

IN ANBETRACHT des ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Nutzens des Berg- und Steillagenweinbaus für den Weinbausektor, insbesondere im Hinblick auf die historischen, kulturellen und werbewirksamen Aspekte, das Image und den Weintourismus, sowie seines Beitrags zur Erreichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung (sustainable development goals, SDGs) der Vereinten Nationen, insbesondere des Ziels 15: Schutz, Wiederherstellung und Förderung der nachhaltigen Nutzung von Landökosystemen, nachhaltige Bewirtschaftung von Wäldern, Bekämpfung der Wüstenbildung, Eindämmung und Umkehr der Bodendegradation und Eindämmung des Verlusts der biologischen Vielfalt,

IN DER ERWÄGUNG, dass eine Definition des Berg- und Steillagenweinbaus für den Weinbausektor hilfreich sein kann, um Weinbauerzeugnisse aus Produktionssystemen in Bergregionen anzuerkennen und zu fördern und die Kommunikation über seinen dauerhaften Charakter und seine Ökosystemleistungen sowie die Erhaltung der Vorteile für den Weinbausektor und die Gemeinschaften in der Wertschöpfungskette zu verbessern,

IN ANBETRACHT der Notwendigkeit, in die Definition des Berg- und Steillagenweinbaus Aspekte aufzunehmen, die die drei Säulen der Nachhaltigkeit berücksichtigen: ökologische, wirtschaftliche und soziokulturelle Aspekte,

IN DER ERWÄGUNG, dass die Definitionen des Berg- und Steillagenweinbaus nicht nur als zusätzliches Instrument zum Schutz des weinbaulichen Erbes oder zur Bestimmung der aktuellen Bedingungen und Herausforderungen im Weinbau dienen sollten, sondern auch als Unterstützung für die langfristige Planung neuer Rebflächen und die Verwaltung der geographischen Angaben von Weinen,

IN ANBETRACHT des hohen Werts des Erbes des Berg- und Steillagenweinbaus für den Weinbausektor und in der Erwägung, dass diese Gebiete für die Untersuchung ihrer besonderen agronomischen Bedingungen und ihrer Qualitäts- und Nachhaltigkeitsziele, die zur Einzigartigkeit ihrer Weine beitragen, Anerkennung und Schutz verdienen,

ERKENNT FOLGENDES:

  • Berg- und Steillagengebiete gehören zu den historisch und kulturell reichsten landwirtschaftlichen Produktionsstätten der Menschheitsgeschichte. Die Entwicklung der Menschheit, die Zivilisation und die kulturelle Evolution haben in den Bergen Landschaften entstehen lassen, die in vielerlei Hinsicht einzigartig auf der Welt sind.
  • Diese Weinberge stellen ein außergewöhnliches Erbe dar, das entschieden bewahrt werden sollte.
  • Berge sind eine wichtige Quelle für Wasser, Energie und Biodiversität. Sie sind anfällig für beschleunigte Bodenerosion, Erdrutsche und den schnellen Verlust von Lebensraum und genetischer Vielfalt. Jüngste Berichte[1] zeigen, dass sich die kombinierten Auswirkungen des Klimawandels und einer nicht nachhaltigen Intensivierung der Landwirtschaft verstärken.
  • Durch die Anpflanzung von Reben in Berg- und Steillagen wurde ermöglicht, dass sich der Weinbau in klimatisch geeigneten und in einigen Fällen auch in weniger geeigneten Zonen entwickeln konnte.
  • Der Bergweinbau ist für die Verringerung der Erosion, von Erdrutschen und Überflutungen in Flachlandgebieten von entscheidender Bedeutung.
  • In Bergregionen kann der Krankheitsdruck bei Reben verringert und die Qualität der Weine verbessert werden.
  • Nachhaltiger Berg- und Steillagenweinbau bietet der Gesellschaft positive externe Effekte durch Vorteile für die sozioökonomischen Aktivitäten der betreffenden Gebiete, durch die Entwicklung des Tourismus, die Erhaltung des Bodens, den Erhalt der Natur und der biologischen Vielfalt, das Wohlbefinden der Bevölkerung, die Landwirtschaft, den Tourismus und andere Ökodienstleistungen.
  • Der Berg- und Steillagenweinbau schafft eine bedeutende Wirtschaftstätigkeit in häufig benachteiligten Gebieten.
  • Die klimatischen Bedingungen in Berg- und Steillagen können aufgrund einer besseren Sonneneinstrahlung im Frühjahr und Herbst, bedingt durch die Hangausrichtung, eine wichtige Voraussetzung für die Reifung der Trauben in einigen höher gelegenen Weinbaugebieten sein.
  • Der Berg- und Steillagenweinbau ist in zweierlei Hinsicht bedroht: Kosten und Klima.
    1. i) Der Weinbau in Berg- und Steillagen war schon immer mühsamer als im Flachland und dieser Nachteil hat sich mit der zunehmenden Mechanisierung des Weinbaus im Flachland noch verschärft.
    2. ii) In einigen Regionen kann der Klimawandel den früheren klimatischen Vorteil von Steillagen für den Weinbau in einen Nachteil verwandeln. Abhängig von der Bodenbeschaffenheit und der geographischen Lage, insbesondere in wärmeren Regionen, führt eine verstärkte Sonneneinstrahlung in Steillagen oft zu problematischen Bedingungen. Eine verringerte Wasserspeicherkapazität und eine hohe Evapotranspiration führen oft zu Wasserstress, der sich in geringeren Erträgen niederschlägt. Erosion und Bodenverluste werden durch veränderte Niederschlagsmuster und die Zunahme extremer Niederschlagsereignisse noch verstärkt. Vermehrt auftretende Starkniederschläge können zu starker Erosion und Erdrutschen führen, wodurch Sachverluste und Verluste an Menschenleben entstehen können. Sonnenexponierte Hänge können zu einem zunehmend früheren Vegetationsbeginn führen und sind einem hohen Spätfrostrisiko ausgesetzt.
  • Der Trend und die allgemeine Einschätzung des Steillagenweinbaus sind nach Meinung der Erzeuger positiv. Das Wissen der Verbraucher über den Berg- und Steillagenweinbau, seine Produkte und die Leistungen, die er für die Gemeinschaften und die Umwelt erbringt, ist jedoch begrenzt.

BESCHLIESST, die folgende Definition des Berg- und Steillagenweinbaus anzunehmen:

Der Berg- und Steillagenweinbau bezeichnet ein System zur Anlage von Rebflächen in Berggebieten, die nach den wissenschaftlichen Kriterien von UNEP-WCMC[2] und den von EUROSTAT vorgeschlagenen Identifizierungsmethoden[3] als hochgelegenes Gelände, Gelände an Steilhängen oder Gelände mit schroffer Topografie definiert sind.

EMPFIEHLT DEN MITGLIEDSSTAATEN, die Berg- und Steillagenweinbau betreiben, folgende Maßnahmen:

  • Förderung der Erforschung und Erhaltung des Berg- und Steillagenweinbaus als Kulturerbe und wichtige Einnahmequelle für den Weinbausektor sowie der Ökosystemleistungen und Leistungen für die lokalen Gemeinschaften, insbesondere in Bezug auf den Wasser- und Bodenschutz und die Erhaltung der biologischen Vielfalt,
  • Förderung von Maßnahmen zur besseren Differenzierung der Erzeugnisse aus diesen Weinbergen, wie die Einführung von geographischen Angaben,
  • Untersuchung der sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Faktoren und Vorteile des Berg- und Steillagenweinbaus,
  • Untersuchungen darüber, wie der Berg- und Steillagenweinbau aus Sicht der Erzeuger und Verbraucher wirtschaftlich lebensfähig bleiben oder werden kann und Berücksichtigung von Aspekten im Zusammenhang mit der menschlichen Sicherheit, zusätzlichen Produktionskosten und der Zahlungsbereitschaft der Verbraucher,
  • Untersuchung und Charakterisierung spezifischer Nachhaltigkeitsaspekte wie Bekämpfung der Bodenerosion, Verhinderung von Erdrutschen, Gewässerschutz und Erhaltung der Biodiversität, Ausrichtung und Exposition der Rebflächen, Verfügbarkeit von Fachkräften, generationsübergreifende Fragen, Führung von Familienbetrieben/Unternehmen, Erbschaftsfragen usw.
  • Untersuchung und besseres Verständnis der Auswirkungen des Berg- und Steillagenweinbaus auf die physiologischen Funktionen des Bodens und seines Beitrags zur Erhaltung dieser Ressource in Berggebieten,
  • Entwicklung von Forschung zur Unterstützung dieser Art des Weinbaus, die besondere Anbaupraktiken (z.B. Terrassen, Steinterrassen usw.) und angepasste Geräte (Schmalspurtraktoren, Raupenantrieb) erfordert,
  • Untersuchung darüber, wie standort- und bodenbedingte Wasserknappheit nachhaltig gelöst werden kann. Untersuchung der oberirdischen und unterirdischen Gewässer, der zum Wasserfluss beitragenden Gebiete, der Transportkapazität und der damit verbundenen Parameter, um eine angemessene Wasserableitung an den Hängen zu schaffen und so das Risiko von Erdrutschen zu minimieren und einen angemessenen Wasserschutz sowohl für die Weinberge als auch für das umgebende Ökosystem zu gewährleisten,
  • Untersuchung und Festlegung geeigneter Mechanisierungs-, Sensorisierungs- und Automatisierungsoptionen für den Berg- und Steillagenweinbau, um effizientes Arbeiten zu gewährleisten, die Betriebskosten zu senken und den Arbeitskräftebedarf zu begrenzen,
  • Förderung der Umsetzung öffentlicher Maßnahmen, die den Fortbestand dieser Art von Weinbau und die öffentlichen Leistungen, die er für die Gemeinschaft und die Umwelt erbringen kann, sicherstellen,
  • Ermittlung von Maßnahmen und Lösungen zur Erhaltung und Weiterentwicklung der sozialen Strukturen in Berggebieten, um die sozioökonomische und natürliche Integrität dieser Regionen zu erhalten,
  • Bewältigung der Herausforderungen, die mit der Verbesserung des Tourismus, der allgemeinen Infrastruktur und der Zugänglichkeit verbunden sind, um die Wertschöpfungskette zu verlängern und die Resilienz des Produktionssystems innerhalb seiner ökologischen Grenzen zu erhöhen.
    1. i) Genauere Untersuchungen darüber, wie sich verschiedene Weinbaupraktiken auf die sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Aspekte des Berg- und Steillagenweinbaus auswirken und wie sie zur Resilienz gegenüber Umweltveränderungen beitragen können,
    1. ii) Festlegung der weinbaulichen und önologischen Leitlinien für die verschiedenen Gebieten und der Marketingstrategien, die geeignet sind, Weinbauerzeugnisse in Preisklassen zu positionieren, die den erforderlichen höheren Produktionskosten entsprechen,
    2. iii) Einleitung von Machbarkeitsstudien darüber, wie die höheren Kosten des Berg- und Steillagenweinbaus, die den Herstellern entstehen, durch Beiträge des Tourismus und anderer Sektoren kompensiert werden können, um Synergien und gemeinsame Geschäftsstrategien zu schaffen,
  • Förderung der Untersuchung der Wahrnehmung und Erwartungen der Verbraucher und der Gesellschaft an Erzeugnisse des Berg- und Steillagenweinbaus als Schlüssel zur Entwicklung einer geeigneten Strategie zur Erhöhung ihres Marktwerts,
  • Bestandsaufnahme, Schätzung, Bewertung und Förderung der Vergütung von Ökosystemleistungen, die der nachhaltige Bergweinbau Ökosystemen und der Gesellschaft erbringt, d.h. Erhaltung von Wasser, Böden und biologischer Vielfalt,
  • Unterstützung und Zusammenarbeit mit einschlägigen internationalen Institutionen, die diese Art von Weinbau unterstützen.

[1] Schröder, L. S., Rasche, L., Jantke, K., Mishra, G., Lange, S., Eschenbach, A., & Schneider, U. A. (2023). Combined effects of climate change and agricultural intensification on soil erosion in uphill shifting cultivation in Northeast India. Land Degradation & Development.

Andrade-Linares, D. R., Zistl-Schlingmann, M., Foesel, B., Dannenmann, M., Schulz, S., & Schloter, M. (2021). Short term effects of climate change and intensification of management on the abundance of microbes driving nitrogen turnover in montane grassland soils. Science of the Total Environment, 780, 146672.

Hazeu, G. W., Roupioz, L. F. S., & Perez-Soba, M. (2010). Europe's ecological backbone: recognising the true value of our mountains (No. 6/2010). Office for Official Publications of the European Communities.

https://www.euromontana.org/en/working-themes/environment-and-climate-change/

[2] UNEP-WCMC (2002) Mountain Watch: Environmental Change and Sustainable Development in Mountains. Defining Mountain Regions Page 74. UNEP World Conservation Monitoring Centre Cambridge, United Kingdom.

[3] 2EUROSTAT (2018) Methodological manual on territorial typologies. Part D-10. Mountain regions. Statistical Office of the European Union, Luxembourg.