Allgemeine Grundsätze und Empfehlungen der OIV zur Bekämpfung der Piere'schen Kranheit der Rebe

Status: In Kraft

Allgemeine Grundsätze und Empfehlungen der OIV zur Bekämpfung der Piere'schen Kranheit der Rebe

RESOLUTION OIV-VITI 704-2023

ALLGEMEINE GRUNDSÄTZE UND EMPFEHLUNGEN DER OIV ZUR BEKÄMPFUNG DER PIERCE’SCHEN KRANKHEIT DER REBE

HINWEIS: Folgende Resolution wird durch die vorliegende Resolution aufgehoben:

-          VITI 1/92

DIE GENERALVERSAMMLUNG

AUF VORSCHLAG der Kommission I „Weinbau“ und der Sachverständigengruppe „Rebschutz und Weinbautechniken“, nach Prüfung der zahlreichen wissenschaftlichen Studien auf internationaler Ebene über die Bedeutung und Risiken im Zusammenhang mit dem Auftreten und einer möglichen Ausbreitung der Pierce‘schen-Krankheit der Rebe,

GESTÜTZT auf Artikel 2 b) i und c) iii des Übereinkommens zur Gründung der Internationalen Organisation für Rebe und Wein und die Ziffern 1.a.iii, 1.c.iii und 1.f. ihres Strategieplans 2020–2024 im Zusammenhang mit der Förderung eines umweltfreundlichen Weinbaus und der Begegnung der Herausforderungen des Klimawandels,

IN DER ERWÄGUNG, dass die Gattung Vitis für Infektionen durch das Bakterium X. fastidiosa ssp. fastidiosa, dem Erreger der Pierce‘schen-Krankheit (GPD[1] ), anfällig ist und dass sich in diesem Dokument Verweise auf die Art Xylella fastidiosa speziell auf diese Unterart beziehen,

IN DER ERWÄGUNG, dass die Pierce’sche Krankheit der Weinrebe in vielen Weinbergen der Welt ein immer größeres Problem darstellt,

IN DER ERWÄGUNG, dass die Pierce’sche Krankheit einen erheblichen und anhaltenden Produktionsrückgang und/oder ein vorzeitiges, plötzliches oder fortschreitendes Absterben der Reben verursachen kann, was zu einem erheblichen Produktivitätsverlust und einer Verringerung der wirtschaftlichen Lebensfähigkeit des Weinbausektors führt,

IN ANBETRACHT der unzureichenden Kenntnisse der Akteure des Weinbausektors über die Symptome und Folgen der Pierce’schen Krankheit,

IN ANBETRACHT der Notwendigkeit, die politische, wirtschaftliche und technische Gemeinschaft für die Risiken der Ausbreitung von Xylella fastidiosa im Weinbau zu sensibilisieren,

IN DER ERWÄGUNG, dass eine bessere internationale, nationale und territoriale Organisation unter Einbeziehung wissenschaftlicher und technischer Strukturen sowie offizielle Initiativen dringend notwendig sind, um im Falle einer durch X. fastidiosa subsp. fastidiosa verursachten Epidemie auf harmonisierte Weise einzugreifen und ihre Ausbreitung auf GDP-freie Gebiete zu verhindern,

BESCHLIESST, die OIV-Resolution VITI 1/92 aufzuheben,

ERKENNT:

  • Die Verbreitung von Xylella fastidiosa im Weinbau erfolgt hauptsächlich durch Insekten, die das Bakterium übertragen und in Weinbauregionen häufig vorkommen.
  • Xylella fastidiosa wird durch Vektorinsekten übertragen, die in vielen Weinbauregionen der Welt vorkommen und sich vom Xylemsaft der Reben ernähren.
  • In erster Linie handelt es sich dabei um Zwergzikaden und Schaumzikaden, wie Zwergzikaden der Ordnung Hemiptera (Cicadellidae, Cicadellinae) und Heuschrecken wie Philaenus spumarius und Neophilaenus campestris (Hemiptera: Cercopoidea).
  • Das Bakterium Xylella fastidiosa (einschließlich der Unterart fastidiosa, die für die Pierce’sche Krankheit der Rebe verantwortlich ist) ist in vielen Weinbauländern als Quarantäneorganismus eingestuft.
  • Viele Pflanzenarten können Wirte des Bakteriums Xylella fastidiosa subsp. fastidiosa sein. Einige dieser Arten zeigen keine Krankheitssymptome; sie können dem Bakterium jedoch als Reservoir dienen und sind Wirte der oben genannten Vektoren. Bei diesen Wirten der Bakterien oder Vektoren handelt es sich häufig um Wildkräuter und/oder Unkräuter.
  • Die Epidemierisiken in Verbindung mit Infektionen durch X. fastidiosa subsp. fastidiosa können auch abhängig von der Art des Vektors, den klimatischen Bedingungen, die die Entwicklung des Erregers begünstigen, und seinen potenziellen Vektoren steigen.
  • Sind das Bakterium und die Vektoren vorhanden, die die Krankheit von Rebe zu Rebe oder durch Zwischenwirtspflanzen übertragen können, besteht ein ernsthaftes Seuchenrisiko in Verbindung mit nicht kultivierten und/oder aufgegebenen und möglicherweise infizierten Rebflächen. Diese entziehen sich häufig der Überwachung.
  • Es ist dringend erforderlich, alle Präventivmaßnahmen zu ergreifen und zu intensivieren, um die Ausbreitung von X. fastidiosa subsp. fastidiosa in Gebieten, die als noch nicht infiziert gelten, zu begrenzen und die Rolle der mit ihm assoziierten Vektoren und Wirtspflanzen zu beschränken.
  • Es ist notwendig, in allen Weinbaugebieten über harmonisierte Systeme zur Überwachung, Bekämpfung und Tilgung der Krankheit zu verfügen, die an die regionalen epidemiologischen Bedingungen angepasst sind.
  • Es ist wichtig, alle Fachleute in der Erkennung der Symptome zu schulen, um die Pierce’sche Krankheit nicht mit anderen Krankheiten oder abiotischem Stress zu verwechseln und Verzögerungen bei der Meldung zu vermeiden.

EMPFEHLUNGEN:

  1. Sicherstellung der Einhaltung aller internationalen, nationalen, regionalen oder territorialen und von den für den Pflanzschutz zuständigen Dienststellen erlassenen Bestimmungen zur phytosanitären Prophylaxe, die zur Erkennung, Verhütung und Tilgung bzw. Eindämmung von Quarantäne-Krankheiten und -Schadorganismen, vorgesehen sind.
  2. Die Mitgliedstaaten müssen Maßnahmen ergreifen, um die Einführung von Wirtspflanzen von X. fastidiosa aus Gebieten, in denen das Bakterium nachgewiesen wurde, zu kontrollieren.
  3. Einführung und Erleichterung einer besseren Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Pflanzensektoren, die von der Pierce-Krankheit betroffen sein können, im Hinblick auf die Vorbereitung und technischen Schulungen in Anpassung an die mit dieser Krankheit verbundenen Seuchenrisiken;
  4. Durchführung sofortiger und wirksamer Pflanzenschutzmaßnahmen zur Verhinderung und gegebenenfalls Verlangsamung der Ausbreitung von X. fastidiosa subsp. fastidiosa, insbesondere beim Austausch und bei der Verbringung von Vermehrungsgut von Reben und anderen Pflanzen, die Wirt des betreffenden Bakteriums außerhalb der Zone sind, die als von der Krankheit befallen gilt und/oder der Zone des Erstbefalls, um eine spätere Ausbreitung der Krankheit auf GPD-freie Zonen zu verhindern.
  5. In Gebieten, in denen die Krankheit noch nicht aufgetreten ist, muss eine Bewertung des Kontaminationsrisikos erfolgen, um alle vorbeugenden Schutz-, Überwachungs-, Kontroll- und Inspektionsmaßnahmen durchzuführen und zu intensivieren:
    1. Einhaltung der Verpflichtungszusagen und Hinweise wissenschaftlicher und technischer Organisationen (wie IPPC, EPPO, FAO und EFSA) sowie der geltenden Regeln und Rechtsvorschriften der einzelnen Länder;
    2. Unterrichtung und technische Schulung der verschiedenen Akteure im Weinbausektor, insbesondere der Winzer und Pflanzenzüchter, hinsichtlich der Symptome, Vektoren und Risiken im Zusammenhang mit der Pierce’schen Krankheit;
    3. agronomische, kulturelle, biologische und chemische Maßnahmen zur Kontrolle von Insektenvektoren, einschließlich Versuche mit verschiedenen Wirkstoffen, um die wirksamsten zu empfehlen;
    4. je nach Situation und Besonderheiten des jeweiligen Landes groß angelegte Überwachung von Weinbaugebieten, um Reben, die GPD-assoziierte Symptome zeigen, und das Vorhandensein von Vektoren von X. fastidiosa subsp. fastidiosa zu ermitteln;
    5. Kontrolle durch qualifiziertes Personal in Mutterrebenbeständen, Rebschulen und jungen Weinbergen, die mit Vermehrungsgut angelegt wurden, das in Gebieten erzeugt wurde, bei denen Verdacht auf Befall von der Pierce’schen Krankheit besteht;
    6. Probenahme und Analysen bei Pflanzen mit nachgewiesenen oder verdächtigen GPD-Symptomen und bei den im Weinbaugebiet nachgewiesenen Vektoren;
    7. systematische und regelmäßige Probenahme und Analyse in asymptomatischen Weinbergen in Gebieten, in denen eine Ansteckungsgefahr besteht;  
    8. Einrichtung und Zertifizierung von Laboratorien für die Diagnose der Pierce’schen Krankheit nach den von den Kontroll- und Diagnoseeinrichtungen festgelegten Methoden und Protokollen in Übereinstimmung mit den geltenden Rechtsvorschriften der Länder;
  6. Tilgungsmaßnahmen: Wird ein Ausbruch von X. fastidiosa subsp. fastidiosa in Weinbauregionen bestätigt, in denen die Krankheit nicht endemisch ist, sollten Maßnahmen zur Identifizierung, Markierung, Abgrenzung, Kontrolle und Tilgung festgelegt werden:
    1. Identifizierung, Markierung und amtliche Erklärung über die abgegrenzte Zone, die aus einer Ausbruchszone (Befallszone) und einer geeigneten Pufferzone besteht, in der die folgenden Maßnahmen zu ergreifen sind:
    2. In Übereinstimmung mit den nationalen oder örtlichen Quarantänevorschriften für das abgegrenzte Gebiet:
      1. Verbot der Verbringung von Pflanzenmaterial in und aus Rebschulen und Mutterpflanzenbeständen, sofern es nicht mit Heißwasser gemäß dem vom IPPC und der EPPO vorgesehenen Protokoll für Vermehrungsmaterial behandelt wurde, das in den Gebieten und Regionen mit Epidemierisiko erzeugt oder von diesen eingeführt wurde;
      2. Beseitigung aller Reben einschl. Wildreben und aller Wirte von X. fastidiosa subsp. fastidiosa einschließlich Unkraut, das für den Vektor als Reservoir dienen kann, gemäß den Quarantäneempfehlungen wissenschaftlicher und technischer internationaler Organisationen (wie IPPC und EPPO, FAO, EFSA) in einem Umkreis von mindestens 50 m um die befallenen Pflanzen;
      3. verbindliche Programme zur Kontrolle von Vektoren von X. fastidiosa subsp. fastidiosa, die in erster Linie agronomische oder biologische Kontrollmaßnahmen umfassen;
      4. Fangen und Bestimmung potenzieller Insektenvektoren (Cicadellidae und Cicadellinae) in dem abgegrenzten Gebiet;
      5. über einen Zeitraum von mindestens vier Jahren jährliche Überwachung im abgegrenzten Gebiet und Analyse asymptomatischer Reben, aller Wirte von X. fastidiosa subsp. fastidiosa und Vektoren nach einem geeigneten Stichprobenplan sowie Analyse,
    3. für Pufferzonen: agronomische Maßnahmen zur Vektorkontrolle, wenn die Pierce’sche Krankheit als Risiko und/oder Problem für den Sektor betrachtet wird.
  7. Leitung, Förderung und Unterstützung der internationalen interdisziplinären Forschung zur Untersuchung und Erleichterung des Zugangs zu:
    1. kurzfristig: Möglichkeiten der Kontrolle sowohl von Bakterien (z. B. Bakteriophagen) als auch von Vektorinsekten (z. B. mit Parasitoiden oder Entomopathogenen); 
    2. langfristig: Züchtung oder Entwicklung von Sorten der Gattung Vitis, die gegen X. fastidiosa subsp. fastidiosa immun und gegen GPD resistent/tolerant sind.

[1] bakterielle Erkrankung, die erstmals in Weinbergen in Südkalifornien festgestellt und 1892 von Newton B. Pierce beschrieben wurde