Zu den diskriminierenden Seiten seines Charakters gehört seine Beziehung zum Alkohol, die sich nur durch ein Verhalten erklären lässt, die einem Kreis junger Leute zugeschrieben wird, der als "Lost Generation" bezeichnet wurde. Hemingway übernimmt diesen Ausdruck von Gertrude Stein, die eine Gruppe aus Schriftstellern, Künstlern und Verlegern so bezeichnete, die nach Paris gekommen waren, um insbesondere dem prohibitionistischen Umfeld zu entfliehen. Aus dieser durch den Krieg erschütterten Generation heraus entstand eine literarische Bewegung, die die belebenden Eigenschaften von Wein im Allgemeinen und von Paris, der Hauptstadt des Vergnügens, im Besonderen hervorhob.
Das Bild des Schriftstellers am Tisch eines Bistros in Paris wird sicherlich hinlänglich von sämtlichen Registern bedient, wenn es um diese Clique aus talentierten Lebemenschen geht, von denen wohl einige ihre kreative Energie dem Rausch zu verdanken haben sollen. Obwohl das Schreckgespenst der Melancholie aufgrund ihrer Verbindungen mit einer künstlerischen Veranlagung quer durch die Geschichte zu vielen Werken angeregt hat, verkörpert Hemingway ganz besonders gut diese heute als bipolare Störung1 bezeichnete Krankheit, die seit Aristoteles2 die Verbindung zwischen Rauschzustand und kreativem Funken herstellt. Abgesehen von dieser nebulösen Kombination inszeniert Hemingway den Wein mit seiner idiosynkratischen, wie durch einen Rauschzustand getakteten Schreibkunst.
Die Semantik der Flasche
Aufgrund eines Schreibstils, der nichts dem Zufall überlässt, liefert uns Hemingway eine kaleidoskopische Vision von Alkohol. Über das einfache Thema hinaus wird er bei Hemingway zu einer Figur und einem breitangelegten symbolischen Arsenal: Freundschaft, Männlichkeit, Verletzbarkeit, Flucht ja sogar Selbstzerstörung, aber auch ein Mittel für sinnliche Freude und eine Einladung zur stilistischen, lexikalen und semantischen Reise.
Hemingway passt die Phrasierung der Dynamik den jeweiligen Szenen an, spielt mit den Zeiten, die die unterschiedlichen Wahrnehmungen seiner Protagonisten, insbesondere je nach Rauschzustand, widerspiegeln. Die Vergangenheit der Erzählung wechselt sich daher mit dem Präsens der Fortdauer ab. Der Einsatz dieser Schwankungen, in der damaligen Literatur weit verbreitet3, wird in Hemingways Werk ganz besonders wirkungsvoll eingesetzt, um ein Gefühl der Instabilität zu erzeugen. Geht es eher um (weltanschauliche) Bewegung als um das Torkeln, so kann diese Art den Zustand eines neuen Bewusstseins ausdrücken4. Dies kann eine Form der Loslösung sein, um den eigenen Zustand zwischen Schatten und Licht zu akzeptieren oder gar gewisse literarische Größen zu verstehen - insbesondere Turgenieff5. Meistens geht es Hemingway jedoch darum, die flüchtigen Gedanken einer Generation auszudrücken, die im Würgegriff antagonistischer Ideologien gefangen ist, die er als Spiegel für die inneren Qualen des menschlichen Wesens einsetzt6. Die literarische Reise hat somit einen Sinn und diese fiktionale Diskontinuität, die die Windungen des Lebens widerspiegelt, reiht sich in die Topoi der modernistischen Literatur ein. Hemingway hat sie mit Prägnanz und Maskierung ausgedrückt, eine Ausdrucksweise, die den Mäandern ähnelt, zu denen die Rauschzustände seiner Figuren in allen ihren jeweiligen Komplexitäten führen. Noch mehr als die Weine sind es ihre verschwommenen Wege, die bei dieser semantischen Reise eine Art unzuverlässigen Spiegel darstellen, wie dies auch manchmal bei den Gedanken und der Erinnerung der Fall ist.
Eine Wein- und Spirituosenkarte als Sprachcode
In der Kurzgeschichte "Hügel wie weiße Elefanten"7 bildet der Satz "Der Mann trank sein Bier", sagte er, eine wiederkehrende Tätigkeit, bei der die Vorstellung, den Unterarm (statt des Ellenbogens!) zu heben, die des Nickens überträgt. In "Das kurze glückliche Leben des Francis Macomber", dient der Satz "Oh, ich trinke noch immer ihren Whisky" ("I'm still drinking their whisky") den Jägern als Hinweis dafür, den schlechten Ausgang einer Safari zu verkünden. Im umgekehrte Fall hebt der Sieger zum Anstoßen sein Glas zu "Heute Abend werden wir Champagner für den Löwen trinken").
Komplexer sind die im semantischen Feld der Verführung verwendeten Übertragungen. Brett, eine wichtige weibliche Protagonistin in Fiesta, dem ersten Roman von Hemingway, verpackt männliche Annäherungsversuche in einen spendierten Drink ("Brachte mir ein Getränk"8), eine stille, deutliche Einladung, die sowohl Zufriedenheit als auch Gereiztheit ausdrücken kann, je nach der Art des Urhebers einer solchen Avance.
Der Wein, Komplize der Geselligkeit
In fast allen seinen Werken inszeniert Hemingway den Alkohol als vielgestaltige Figur, bei der der Wein eine Reihe von Facetten einnimmt. Diese Allgegenwart sticht vor allem in Paris – ein Fest fürs Leben ins Auge, ein Essay mit autobiografischen Zügen9.
Doch im Unterschied zu destilliertem Alkohol, ja sogar Bier, oft in Begleitung des Wahns Betrunkener, wird Wein dort bei zahlreichen festlichen Anlässen genannt - was uns dem großen Ziel Jeffersons näherbringt, nämlich dem Kampf gegen schleichende Alkoholsucht durch Önophilie10.
Der Wein feiert das "Zusammensein" und enthält eine komplexe Symbolik wie in den einfachsten Szenen: eine Angelpartie (Fiesta: the Sun Also Rises, Kap. 12 und 13), Verbrüderungssequenzen (In einem anderen Land, Kap. 7), die sich auch mit starkem Alkohol wie beispielsweise Rum abspielen können11.
Champagner fließt natürlich anlässlich von freundschaftlichen Feierlichkeiten. Die Erwähnung der Marke, Mumm in Fiesta oder Perrier-Jouët in Der Garten Eden ("ein Wein, der so glücklich machen kann")12 verstärkt das Ganze natürlich noch; er wirkt wie ein Zusatzmittel zur allgemeinen Exaltiertheit einer Jugend in einem sich ständig ändernden Universum.
Hemingway individualisiert den Wein derart, dass eine erschöpfende Aufzählung viel zu langatmig wäre. Bei genauer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass immer eine bestimmte Funktion erfüllt wird. Seine Verneigung vor dem Châteauneuf-du-Pape oder dem Saint-Emilion lässt ihn wie ein Kenner wirken, der auch einen Château-Margaux derart genießen kann, dass er darin nach einem Zechgelage Zeichen für die Rückkehr in die Zivilisation erkennen kann13. Er erwähnt die Botschaften, die Wein aussenden kann, auch wenn er aufgrund seiner Stärke mit Wasser verdünnt werden muss14.
Weißweine können dagegen die Leichtigkeit und die Begeisterung einer mitreißenden Jugend ausdrücken: die Chablis-Weine, Sancerre, Pouilly-Fuissé, Montagny oder Mâcon begleiten in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen eine Art Wetteifern am Tresen in Montparnasse.
Im kollektiven Bewusstsein wird seine Fähigkeit, Wein zu einem Spiegel von Gefühlen zu machen, weniger schnell Hemingway zugeordnet. So wählt er beispielsweise den Wein aus Beaune (Farbe und Parzelle bleiben der Interpretation des Lesers überlassen) um einen Moment friedlicher Intimität mit seiner Frau Hadley zu beschreiben. Eine äußerst vielsagende Sequenz zeigt sie erfreut bei dem Gedanken "einen Beaune zu trinken", bevor zu lesen ist, "dann ins Bett zu gehen und sich zu lieben"15. Diese harmonische Intimität ist Teil der wirbelnden Facette der Geselligkeit, mit der Wein16 einhergeht, als Kontrapunkt zu verschwommenen Situationen moderner Bacchanale.
Inspirierende Liköre
Durch die zahlreichen Aufzählungen wird Alkohol zum lexikalischen und semantischen Feld und fügt sich dadurch in die Ästhetik des Bruchs17 ein. Diese Ausflucht wirkt manchmal wie ein Trugbild und erinnert an das Bildmotiv der Vanitas sowie an das literarische Konzept der Ellipse. In einem Zustand chronischer Trunkenheit verlängert sich der Teufelskreis, und das dem menschlichen Wesen eigene Gefühl der Leere reduziert sich auf das existenzielle Nichts.
Abgesehen von den Schattenseiten, die uns zu dem berühmten Genuss von Alkohol in Maßen ermahnen, birgt das metamorphische Prinzip die wichtigste Botschaft von Ernest Hemingways Prosa über den Alkohol. Innerhalb dieser zahlreichen Bereiche, Gefühle und Bedeutungen sollten wir uns den verführerischen Gedanken der Weine aus dem Burgund als Liebesschub merken, das Klischee des Bacchus-Likörs als Hauptprotagonist für künstlerische Anregung und die zahlreichen Situationen, in denen Wein vor allem für eine kollektive Lebensfreude sorgt. In der kreativen Terminologie von Ernest Hemingway erhält Alkohol daher tausenderlei Bedeutungen und ich rufe dazu auf, ihn unter dem positiven Blickpunkt der liebenswürdigen Geselligkeit und der Kreativität zu würdigen.
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1 Inmitten der zahlreichen Werke zu diesem Thema siehe Kay Redfield Jamison, Touched with Fire, Manic Depressive Illness and the Artistic Temperament, Free Press Paperbacks, published by Simon & Schuster New York, 1994, Kap. 6.
2 Jackie Pigeaud, L’homme de génie et la mélancolie, Paris, Rivages poche, Petite Bibliothèque, 1988.
3 Das, was Crowley als narrativen Prozess der Trunkenheit bezeichnet ("drunk narrative"). W. Crowley, The White Logic, Alcoholism and Gender in American Modernist Fiction, 1994, Vorwort, Seite x.
4 Fiesta, 1926 unter diesem Titel veröffentlicht: The Sun Also Rises, Kap. 14.
5 Fiesta, Kap. 14.
6 In einem anderen Land, Kap. 12
7 Diese Novelle ist 1927 unter dem Titel "Hills like white Elephants" erschienen.
8 Fiesta, Buch 2, Kap. 8.
9 Posthum, unter dem Titel A Moveable Feast 1964 veröffentlichter Roman.
10 Siehe Note œnoculturelle Nummer 1
11 In einem anderen Land, Kap. 7; 9.
12 Ibid., "Such a nice wine » with which on can be « so happy (Das war immer so ein guter Wein, sagte sie. Und wir waren immer so glücklich damit)", The Garden of Eden, New York, Charles Scribner’s Sons, 1986, Kap. 19, S. 162.
13 Fiesta, Kap. 19.
14 Hier und da werden spanische und italienische Weine erwähnt (Rioja Alta, Valdepeñas, Marsala, Piombo, Chianti), aber auch einige Schweizerische Weine (aus Aigle oder Sion) sowie Weine aus Algerien.
15 A Moveable Feast (Paris - Ein Fest fürs Leben), « Miss Stein Instructs ».
16 A Moveable Feast (Paris- ein Fest fürs Leben), « With Pascin at the Dôme ».
17 Die Ästhetik des Bruchs ist ein modernistischer Topos und wurde insbesondere von Fitzgerald in The Crack-Up entwickelt, das 1936 veröffentlicht, und von dieser gesamten Generation verwendet wurde.